Artikel von Ryosuke Ohashi zur Eranos-Tagung 1998

Zur ERANOS-Tagung

Wenn man mit dem Zug von Zürich etwa 215 km nach Süd, ca. drei Stunden lang fährt, erreicht man den wunderschönen See Lago Maggiore, der 60 km lang, 5 km breit, 372m tief ist, und umgegeben von den Alpen. Der im Jahre 1925 geschlossene Friedensvertrag Locarno wurde in dem Bezirk Locarno verhandelt, der an diesem See liegt. Die bekannten Erholungsorte umgeben den See, dessen Küste ca. 170 km lang ist.
Es war Ende August dieses Jahres, als ich nach Ascona, dem Nachbarnbezirk Locarnos, fuhr. Wenn man vom Bahnhof ausgeht und die Straße am See überquert, kommt man zum steilen Hang der "Monte Verità", deren Spitze mit dem Taxi knapp in fünf Minuten zu erreichen ist. Die Eranos-Tagung wurde auf dieser Bergspitze veranstaltet.

Diese Tagung wurde 1933 von C. G. Jung, R. Otto usw. gegründet. Die weltbekannten Gelehrten wie M. Eliade, K. Kerenyi, M. Buber, P. Tillich, D. Suzuki, S. Ueda usw. nahmen als Stammsprecher daran teil. Diese großen Namen dürfen einen nicht einschüchtern. Denn in Wirklichkeit ist diese Tagung für jeden zugänglich, so daß auch die Landsleute kommen und in der gemütlichen Atmosphäre mitdiskutieren. Für mich, der noch jung ist und zum ersten Mal eingeladen wurde, war vor allem die Teilnahme der jungen Leute aus verschiedenen Städten in Europa sehr eindrucksvoll, und der Umgang mit ihnen war fröhlich.

Der Name Eranos kommt vom Griechischen und bedeutet ein Festmahl. Ein anderes, ursprünglich griechisches Wort "Symposion" bedeutet Beisammensein beim Trinken, während das Wort "Eraos" ein Picknick-ähnliches Essen heißt, zu dem jeder seinen eigenen Anteil mitbringt. So waren nicht nur die Diskussionen, sondern auch die Zwischenprogramme wie der Maskentanz und das Theater, zu denen die Konferenzteilnehmer je mit ihren eigenen Rollen beitrugen.

Der als Zwischenprogramm veranstaltete "Abend der Masken" wurde für das Rahmenthema "Die Sprache der Masken" entworfen. Wird durch die Maske gesprochen, wird sie zur "persona" im ursprünglichen Sinne des Wortes. In Japan ist es die Nô-Maske, durch die im Unterschied von der früheren Tanzmaske gesprochen wird. Der Haupt-Spieler tanzt, indem er mit Maske erzählt. Was er erzählt, ist eine virtuelle Realität der Vergangenheit. Die Konstruktion der sog. Fünf-Aufführungen des Nô-Spiels drückt die fünf Gesichter dieser virtuellen, irreal-realen Welt aus.

Aus Japan habe ich, als meinen Beitrag zum Eranos-Essen, einen Vortrag über die Nô-Maske. D. Carrasco aus Princeton brachte eine Präsentation der Geschichte der Maske in Mexiko mit. Nach Carrasco spiegelt sich die Geschichte der "kolonialen Zeit" in der Geschichte der Gestaltung der Maske. Man sieht, wie die Kultur der Einheimischen durch die europäischen eingenommen wurde.

Die Maske aber entbirgt und verbirgt gleichzeitig. Die in der Maske sich spiegelnde Geschichte der Kolonialisierung hat selbst einen Maskencharakter. Die Geschichte dieser Maske erreicht in der postkolonialen Zeit eine Stufe, in der die "transkulturelle" Gestaltung in Gang ist. Die "Kontaktzone" der verschiedenen Kulturen ist wiederum eine Maske, die die mittelamerikanische Kultur verdeckt und aufzeigt.

Der Beitrag J. Assmanns aus Heidelberg war über die Mumienmaske. Der ganze Körper einer Mumie kann als eine Maske angesehen werden. Sie ist die Verwandlung ins Unwandelbare. In sie soll die Seele wiederkehren, damit ein neues Leben geboren wird. In der Tat wurde einst geglaubt, daß in jedem der Glieder der Mumie Gott wohnt. Assmann erörterte überzeugend, daß und wie die Sprache, die der Priester anstelle Gottes spricht, eine "Sprache der Maske" war.

Der Kunsthistoriker M. Barasch aus Jerusalem redete über die Tiermaske. Die Maske ist eigentlich das, mit dem man zu einem Anderen wird. Aber diese Transformation ins Andere kann nie die vollständige sein. Wenn man sich restlos zu einem Anderen verwandelt, brauchte man keine Maske mehr. So auch eine Tiermaske, die einerseits auf die Similarität zwischen Tier und Mensch, aber andererseits auf die Andersheit der beiden Spezies. Eben in dieser Unvollständigkeit der Transformation durch die Maske ist das Wesen der Maske zu erblicken.

Die Präsentationen wie die E. Simons über die Theatermaske in der griechischen und römischen Antike, die E. Schaberts über den Maskencharakter der Geschlechter als Genderprobleme, usw. waren ebenfalls anregend. Es ergab sich am Ende, daß in einer "Maske" die Kultur und Geschichte eines Volks sich abspiegeln, und die Maske im Hinblick auf ihre Gestaltung und Bedeutung je nach der Gegend und der Zeit sehr mannigfaltig ist. Sieht man diese Mannigfaltigkeit, so bemerkt man, wie die Entstehung der Maske sich eng mit der Menschennatur zusammenhängt, und der Mensch selber einen Maskencharakter in sich hat.

Die Eranos-Tagungen über die Maske war selber eine "Kontaktzone" der Kulturen. Dort konnte man eindrucksvoll sehen, daß heute, d.h. in der Zeit, in der die virtuelle Realität die sog. Realität mehr und mehr prägt, die Welt einen neuen Maskencharakter bekommt, den zu erhellen die philosophische Aufgabe ist. Ich wandte meinen Blickt auf den entzückend schönen See unter dem Berg um. Die Oberfläche des friedlichstillen Sees sah mir wie die Nô-Maske namens "hannya" aus, die in ihrer sanften Weiblichkeit Trauer und Zorn gleichzeitig ausdrückt.

(aus: Sankei Zeitung, 17. September 1998)