Zur
ERANOS-Tagung
Wenn man mit dem Zug von Zürich etwa 215 km nach Süd,
ca. drei Stunden lang fährt, erreicht man den wunderschönen
See Lago Maggiore, der 60 km lang, 5 km breit, 372m tief ist, und
umgegeben von den Alpen. Der im Jahre 1925 geschlossene Friedensvertrag
Locarno wurde in dem Bezirk Locarno verhandelt, der an diesem See
liegt. Die bekannten Erholungsorte umgeben den See, dessen Küste
ca. 170 km lang ist.
Es war Ende August dieses Jahres, als ich nach Ascona, dem Nachbarnbezirk
Locarnos, fuhr. Wenn man vom Bahnhof ausgeht und die Straße
am See überquert, kommt man zum steilen Hang der "Monte
Verità", deren Spitze mit dem Taxi knapp in fünf
Minuten zu erreichen ist. Die Eranos-Tagung wurde auf dieser Bergspitze
veranstaltet.
Diese Tagung wurde 1933 von C. G. Jung, R. Otto usw. gegründet.
Die weltbekannten Gelehrten wie M. Eliade, K. Kerenyi, M. Buber,
P. Tillich, D. Suzuki, S. Ueda usw. nahmen als Stammsprecher daran
teil. Diese großen Namen dürfen einen nicht einschüchtern.
Denn in Wirklichkeit ist diese Tagung für jeden zugänglich,
so daß auch die Landsleute kommen und in der gemütlichen
Atmosphäre mitdiskutieren. Für mich, der noch jung ist
und zum ersten Mal eingeladen wurde, war vor allem die Teilnahme
der jungen Leute aus verschiedenen Städten in Europa sehr eindrucksvoll,
und der Umgang mit ihnen war fröhlich.
Der Name Eranos kommt vom Griechischen und bedeutet ein Festmahl.
Ein anderes, ursprünglich griechisches Wort "Symposion"
bedeutet Beisammensein beim Trinken, während das Wort "Eraos"
ein Picknick-ähnliches Essen heißt, zu dem jeder seinen
eigenen Anteil mitbringt. So waren nicht nur die Diskussionen, sondern
auch die Zwischenprogramme wie der Maskentanz und das Theater, zu
denen die Konferenzteilnehmer je mit ihren eigenen Rollen beitrugen.
Der als Zwischenprogramm veranstaltete "Abend der Masken"
wurde für das Rahmenthema "Die Sprache der Masken"
entworfen. Wird durch die Maske gesprochen, wird sie zur "persona"
im ursprünglichen Sinne des Wortes. In Japan ist es die Nô-Maske,
durch die im Unterschied von der früheren Tanzmaske gesprochen
wird. Der Haupt-Spieler tanzt, indem er mit Maske erzählt.
Was er erzählt, ist eine virtuelle Realität der Vergangenheit.
Die Konstruktion der sog. Fünf-Aufführungen des Nô-Spiels
drückt die fünf Gesichter dieser virtuellen, irreal-realen
Welt aus.
Aus Japan habe ich, als meinen Beitrag zum Eranos-Essen, einen Vortrag
über die Nô-Maske. D. Carrasco aus Princeton brachte
eine Präsentation der Geschichte der Maske in Mexiko mit. Nach
Carrasco spiegelt sich die Geschichte der "kolonialen Zeit"
in der Geschichte der Gestaltung der Maske. Man sieht, wie die Kultur
der Einheimischen durch die europäischen eingenommen wurde.
Die Maske aber entbirgt und verbirgt gleichzeitig. Die in der Maske
sich spiegelnde Geschichte der Kolonialisierung hat selbst einen
Maskencharakter. Die Geschichte dieser Maske erreicht in der postkolonialen
Zeit eine Stufe, in der die "transkulturelle" Gestaltung
in Gang ist. Die "Kontaktzone" der verschiedenen Kulturen
ist wiederum eine Maske, die die mittelamerikanische Kultur verdeckt
und aufzeigt.
Der Beitrag J. Assmanns aus Heidelberg war über die Mumienmaske.
Der ganze Körper einer Mumie kann als eine Maske angesehen
werden. Sie ist die Verwandlung ins Unwandelbare. In sie soll die
Seele wiederkehren, damit ein neues Leben geboren wird. In der Tat
wurde einst geglaubt, daß in jedem der Glieder der Mumie Gott
wohnt. Assmann erörterte überzeugend, daß und wie
die Sprache, die der Priester anstelle Gottes spricht, eine "Sprache
der Maske" war.
Der Kunsthistoriker M. Barasch aus Jerusalem redete über die
Tiermaske. Die Maske ist eigentlich das, mit dem man zu einem Anderen
wird. Aber diese Transformation ins Andere kann nie die vollständige
sein. Wenn man sich restlos zu einem Anderen verwandelt, brauchte
man keine Maske mehr. So auch eine Tiermaske, die einerseits auf
die Similarität zwischen Tier und Mensch, aber andererseits
auf die Andersheit der beiden Spezies. Eben in dieser Unvollständigkeit
der Transformation durch die Maske ist das Wesen der Maske zu erblicken.
Die Präsentationen wie die E. Simons über die Theatermaske
in der griechischen und römischen Antike, die E. Schaberts
über den Maskencharakter der Geschlechter als Genderprobleme,
usw. waren ebenfalls anregend. Es ergab sich am Ende, daß
in einer "Maske" die Kultur und Geschichte eines Volks
sich abspiegeln, und die Maske im Hinblick auf ihre Gestaltung und
Bedeutung je nach der Gegend und der Zeit sehr mannigfaltig ist.
Sieht man diese Mannigfaltigkeit, so bemerkt man, wie die Entstehung
der Maske sich eng mit der Menschennatur zusammenhängt, und
der Mensch selber einen Maskencharakter in sich hat.
Die Eranos-Tagungen über die Maske war selber eine "Kontaktzone"
der Kulturen. Dort konnte man eindrucksvoll sehen, daß heute,
d.h. in der Zeit, in der die virtuelle Realität die sog. Realität
mehr und mehr prägt, die Welt einen neuen Maskencharakter bekommt,
den zu erhellen die philosophische Aufgabe ist. Ich wandte meinen
Blickt auf den entzückend schönen See unter dem Berg um.
Die Oberfläche des friedlichstillen Sees sah mir wie die Nô-Maske
namens "hannya" aus, die in ihrer sanften Weiblichkeit
Trauer und Zorn gleichzeitig ausdrückt.
(aus:
Sankei Zeitung, 17. September 1998)
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