Margret
Peek-Horn
Das Ordnen der Zeit. Hg.
V. Tilo SCHABERT – Matthias
RIEDL. Würzburg: Königshausen u. Neumann 2003. 213 S.
(Eranos N.F.10). ISBN 3-8260-2251-3. – Der Sammelband umfaßt
eine Vielfalt von sprachlich, räumlich, zivilisatorisch, methodisch,
stofflich und fachlich divergierenden Beiträgen. Sie befassen
sich mit der Zeit, mit Wahrnehmungen von Zeit, Figuren von Zeit
und dem Spiel mit diesen Zeitfiguren, die im jeweiligen Denk- und
Sprachspiel Zeit anordnen und die Zeit als Gabe, als etwas Verläßliches,
Weilendes und zu Hegendes in Erfahrung bringen. Vier Hauptaspekte
werden dabei sichtbar und in den unterschiedlichen Zeitmodellen
mehr oder weniger dominant erkannt und benannt. Erstens: Die Suche
nach der Zeit, die bindet, gegen Sinnleere, Chaos und Zerstreuung.
Es ist die Suche nach der gegebenen Zeit, die der Existenz zukommt
und Räume, Welten und Sphären zeitlicher Ordnung schafft.
Die Suche ist mit der Frage verbunden: Woher stammt diese Zeit,
und wo und wie sind wir in die Abläufe eingebunden? Ein zweiter
Aspekt befaßt sich mit gegliederter und geordneter Zeit,
wie Rhythmen und Maßen von Zeit, z.B. die Abfolge von Tag
und Nacht oder die der Jahreszeiten. Geordnete Zeit schafft Zusammenhang
zwischen den Dingen, läßt die Welt als Kosmos erfahren,
läßt Menschen in ihr ruhen, ihr angehören, sie
mitvollziehen und bewahrt sie vor dem Untergang. Ein dritter Aspekt
fragt nach der Gabe der Zeit, die – mit der Gabe des Lebens
gegeben – dieses als gewährte Lebenszeit erfahren läßt.
Diese gegebene Zeit ist schöpferisch zu entfalten und kann
in je meinen Erfahrungen mit dieser Gabe zu der Entdeckung führen,
dass ich aus einer Zeit lebe, die nicht meine eigene Zeit ist,
die mich aber zu tragen vermag und die eingeübt werden kann,
etwa in der rituellen Durchformung des persönlichen und sozialen
Lebens, wie in der Feier des Sabbat. Eine vierte Hinsicht fragt
nach dem Ort dieser Zeit: Wo gibt es sie und wo kann sie begegnen?
Es gibt sie in der Zeit der Menschen, die sie empfangen und die
sie haben. Es ist die Zeit der Geschichte. Diese Zeit, die es in
der Zeit gibt, ist durch Zeitfiguren vorgezeichnet, wird durch
diese erfahrbar und erscheint geschenkt, als Zeit, die Menschen
für ihre Existenz haben. Mit dieser Erfahrung von gegebener
Zeit verbindet sich die Erfahrung von Zeitgrenzen. Diese Zeit muß erneuert,
wiedergegeben, wiedererworben werden, damit sie nicht untergeht.
Wiederkehr, Neugründung, neue Geburt können Figuren für
diese Erfahrung sein. Und von woher kommt sie? Von dort, wo Zeit
ganz anders ist und wo die „Zeit“ ist, auf die Menschen
sich mit ihrer zeit beziehen. Sie schließen auf ihre Qualität:
Sie ist endlos, von unerschöpflicher und nie ausgeschöpfter
Fülle. Und wo ereignet sich diese unendliche Zeit, die unsere
Endlichkeit aufbricht? Im Augenblick als der Schnittstelle zwischen
diesen Ebenen. Auch er wird den vielfältigen Zeitmodellen
unterschiedlich akzentuiert und benannt: In ihm kann der verborgene
Charakter der Wirklichkeit erkennbar werden. In ihm kann Einbruch
des Seins in die Zeit oder Durchbruch durch die Zeit geschehen.
Er kann (im Islam) als Ort göttlichen Schaffens und Wirkens
erkannt werden. Er kann, z.B. im Sabbatritual in der Sicht der
jüd. Mystik, der Kabbala, als Vision des Wandelns in der kommenden
Welt und als Rückkehr der Seele zum Ursprung gesehen werden;
vgl. dazu Moshe IDEL, Sabbat: Zeitkonzepte in der jüdischen
Mystik (47-73). – Für Leser, die sich für
das Phänomen Zeit, für Ritualisierung von Zeit, für
liturgische Zeiten, für Zeitfiguren und ihre Spiele interessieren,
gibt dieser Band viele Denkanstöße. Gerade durch die
bunte Vielfalt der Beiträge (z.B. abendländische Mystik,
Sabbat in der jüd. Kabbala, präkolumbianische Zeitvorstellungen
der Maya, Dimensionen der Zeit im Islam) werden ungewohnte Zeitmodelle
vorgestellt, die zur Reflexion und Revision bekannter und eigener
Zeitmuster anregen.
in: Archiv
für
Liturgiewissenschaft, Jahrgang 46, 2004 Heft 3, p. 482, Academic
Press Fribourg
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